Die Gefühlstiefe, die sich hinter der äußerst erfolgreichen Discographie von Diana Krall verbirgt, war sensibleren Hörern stets offenkundlich. Und nun, mit ihrem neuen Album „The Girl in the Other Room“, demonstriert Krall nicht nur ihr Gespür für die breite Palette des Jazz-Genres, sondern offenbart auch ihr Talent als Songschreiberin.
Und tatsächlich ist bereits der Titelsong der CD unverkennbar ein Krall Werk durch und durch. Während sich einige mit dem lyrischen Bild einer Frau identifizieren, die sich von soetwas wie der Liebe ablenken läßt (wohlgemerkt entstand der Text in Zusammenarbeit mit Elvis Costello) – so verfallen andere dem mühelos swingenden Klavierspiel bei dem Krall von ihren langjährigen Rhythmus-Kollegen begleitet wird: John Clayton am Bass und Jeff Hamilton am Schlagzeug. Über weite Strecken des Albums fällt diese Rollen allerdings Schlagzeuger Peter Erskine und Bassist Christian McBride zu. Das sympathische und zugleich einfallsreiche Gitarrespiel von Anthony Wilson ist nur einer der viele roten Fäden, die „The Girl In The Other Room“ durchziehen. Zudem sind Gastmsiker wie die Schlagzeugerin Terri Lynne Carrington und Neil Larson (Hammond B-3) zu hören.
Erstmals tritt Diana Krall neben Tommy LiPuma, der hiermit ihr siebtes Album produziert, als Co-Produzentin auf. Ein weiterer langjähriger Kumpane, Ton-Techniker Al Schmitt, mischte während der mehrwöchigen Sessions in den Capitol Studios in Hollywood und bei Avatar Recordings in New York 2003 entstandenen Aufnahmen zusammen.
Wer bereits an Kralls intime und verführerische Stimme gewöhnt ist, wird bei ihrer aktuellen Auswahl an Komponisten zunächst überrascht sein. In Mose Allisons zeitlosem Blues „Stop This World“ oder Smithers fröhlich-sinnlichem „Love Me Like A Man“ ist eine Sängerin, Pianistin und Bandleaderin in Höchstform zu erleben.
Kralls sanfte Interpretation von Tom Waits „Temptation“ mit seinem außergewöhnlichen Intro von Christian McBride findet seinen Widerhall in Kralls Vorspiel zu einer großartig sanften Version von Elvis Costellos „Almost Blue“. Mit einer wunderschön reflektierten Einspielung eines stets einwenig sonderbaren Standard, Herzogs „I’m Pulling Through“, belebt Krall den Stil ihres früheren Lehrers, Pianist Jimmiy Rowles wieder.
Im Geiste Rowles und den Lehrjahren in kleinen Jazz Clubs zollt Diana Krall mit der Eigenkomposition „I’ve Changed My Address“ Tribut. Krall gibt zu, dass jüngste Besuche in einigen dieser alten Bars gelegentlich schockierten: “Alles sieht fast so aus wie früher, aber das Ganze ist mittlerweile eine Sport-Kneipe und anstelle des Klavier steht dort ein Bilard-Tisch.“
Obwohl “The Girl in the Other Room” eine Menge Neues bietet, imitiert das Album doch irgendwie eine Schallplatte mit zwei Seiten. Die großzügigen und fließenden Soli von Gitarist Anthony Wilson und Krall selbst in Joni Mitchells Fernweh-Hymne „Black Crow“ kündigen eine Reihe eigener Stücke an, die von Familie, Liebe aber auch vom unerträglichen Schmerz des Verlusts eines Elternteils erzählen. Krall erklärte dies kürzlich: „Ich durchlitt eine Reihe tiefer persönlicher Verluste und Veränderungen in meinem Leben. Naja, und das ist es, was ich tat statt mich einzuigeln und zu sagen ‚damit komme ich nicht klar!’“.
Und so sind es die unumstößlichen Veränderungen im hoffnungsvollen „Narrow Daylight“, die Raum schaffen für den raffinierten Blues „Abandoned Masquerade“. Genau dieser Song ist es, der am deutlichsten macht, dass es (zumindest vorläufig) für die Sängerin Zeit ist, aus dem Lichtkegel der bezaubernd romantischen Illusion herauszutreten, der so viele der alten Songs beleuchtet hat. Einmal mehr besteht kein Zweifel daran, dass der Zuhörer dem Werk eines echten Jazz-Komponisten lauscht.
Der sanfte Trotz von „I’m Coming Through“ markiert eine weitere unterschwellige Verschiebung des musikalischen Szenenbildes mit dem beeindruckend schönen Spiel von Anthony Wilson. Der Inhalt dieser beiden letzten Songs ist zweifellos das persönlichste Material, das Diana Krall bis heute aufgenommen hat. Das Album schließt mit dem sicher innigsten Titel der CD. „Departure Bay“ beschreibt nicht nur intensiv und beinahe anrührend Bilder aus Kralls Heimatstadt Nanaimo auf Vancouver Island (British Columbia, Kanada), sondern auch schmerzliche Erinnerungen an das erste Weihnachten der Familie Krall ohne Dianas Mutter, die im Mai 2002 an Krebs starb. Die letzte Strophe jedoch heißt eine neue Liebe willkommen und drückt Hoffnung für die Zukunft aus.
Stammt die Musik dieser Songs allein von Krall, so stellen doch viele eine lyrische Zusammenarbeit mit Dianas frischgebackenem Ehemann, Elvis Costello dar. Zum Thema wie die gemeinsame Arbeit funktionierte, sagt Krall: „Ich schrieb zunächst die Musik und dann diskutierten Elvis und ich, was wir im Text ausdrücken wollen. Ich erzählte ihm Geschichten und schrieb seitenweise Erinnerungen an Begebenheiten und Eindrücke auf, die er anschließend in eine engere lyrische Form brachte. Für ‚Departure Bay’ beispielsweise schrieb ich eine lange Liste an Dingen herunter, die ich besonders an zu Hause liebe, auch Dinge, die ich jetzt, nachdem ich weggegangen bin, anders – wenn nicht sogar exotisch – sehe.“
Lieder spiegeln häufig Momente aus unserem Leben wider und die meisten Zuhörer sind sich bewußt, dass Diana Kralls bisherige Alben stets viele persönliche aber vor allem private Bedeutungen für die Künstlerin in sich trugen. „The Girl in the Other Room“ bringt nun erstmalig das, was bislang zart verhüllt war, zum Vorschein.